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Necker Logbuch

Von Liliane Waldner

Einführung in den Necker

Der Necker entspringt auf 1290 m.ü.M. in der Nähe des Ofenlochs im östlichen Toggenburg. Er mündet nach einer Fliessstrecke von 31,3 Kilometern auf 548 m.ü.M. bei Lütisburg in die Thur. Der Necker ist ein St. Galler Fluss.

Mehr über den Necker auf:
https://de.wikipedia.org/wiki/Necker_(Fluss)
http://www.umwelt.sg.ch/home/Themen/wasser/weitere_informationen/Informationen_Fliessgewaesser/_jcr_content/Par/downloadlist_2/DownloadListPar/download_1.ocFile/Biologie_NeckerLuetisburg.pdf

1. Oktober 2015: Lütisburg - Brunnadern

Ich starte beim Bahnhof Lütisburg. Auf dem knapp halbstündigen Marsch ins Dorf komme ich an der Mündung des Gonzenbachs in die Thur vorbei. Die Mündung des Neckers in die Thur liegt in einem undurchdringlichen Wald- und Naturschutzgebiet. Ich schiesse das erste Bild von der Letzibrücke Richtung Mündung. Diese alte, holzgedeckte Brücke ist die erste einer Reihe, die noch kommt. 

Ab Ganterschwil folge ich den Wanderwegschildern nach Brunnadern. Bei Anzenwil komme ich an einem alten Schindelhaus vorbei, indem früher ein Armenhaus war. Das Informationsschild zeigt einen Ausschnitt aus der Hausordnung. Die Strafen gegen Verstösse waren harsch und nach heutiger Auffassung nicht mit den Menschenrechten konform.

Ab Aachsäge führt der Weg bis Brunnadern meistens über Wiesen und Weiden. Eine Weide mit Kühen ist so stark mit Kuhfladen übersät, so dass ich einen Slalom absolvieren muss. Der Necker wird von den Einheimischen liebevoll Necki genannt. Einige Wegschilder sind mit Neckiweg betitelt. Bei Necker fällt mir auf, wie stark Mogelsberg am Gegenhang verhäuselt ist. Ich bemerke dies gegenüber einem Einheimischen, den ich bei einem Hof treffe. Er erklärt mir, dass in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine Feriensiedlung samt Sportzentrum erstellt worden sei. Damit hätten aus steuerlichen Gründen Deutsche angelockt werden sollen. Die Sache hat jedoch nicht geklappt und das Sportzentrum nicht floriert. Heute sind die Häuser normal bewohnt. Ich raste beim Ort Necker.

Danach gelange ich durch ein Auengebiet nach Brunnadern und zur entsprechenden Bahnstation. Früher ist ein Naturpark Neckertal geplant gewesen, weshalb wohl immer noch erläuternde Schilder zu Natur und Kultur in der Landschaft sind. Dieser Naturpark ist jedoch vom Volk an der Urne abgelehnt worden. Die Website wird ab Frühling 2015 nicht mehr erneuert. Siehe Link unten.

Von der Bahnstation Lütisburg bis zur Station Brunnadern-Neckertal muss mit etwa vier Stunden Wanderzeit gerechnet werden. Ich bin heute froh, einmal früh heimzukommen.

Links:
http://www.naturpark-neckertal.ch
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3. Oktober 2015: Brunnadern - Postautohaltestelle Rütelirank

Ich spüre in letzter Zeit die MS wieder vermehrt. Es kribbelt stark vom Brustkorb bis in die Füsse. Der Brustkorb fühlt sich steif an. Die Unterschenkel fühlen sich verfremdet an, wie wenn ich Kniestrümpfe tragen würde. Eine kurze Wanderung ist da angebracht, um die sich versteifenden Glieder zu bewegen. Vielleicht habe ich wieder einen leichten Schub, aber wegen des vielen Trainings und der gewachsenen Selbstsicherheit ist es nicht mehr die Hölle wie vor meiner gründlichen Lebensumstellung Richtung leistungssport-orientierter Lebensweise.

Von Brunnadern gelange ich an diesem Föhntag auf breitem Weg rasch nach Furth. Ich komme an einem Kneipbrunnen, Reiterhof und in Furth an einer FSC-zertifizierten Schreinerei vorbei. Ab da führen die Wege bis ans Tagesziel hauptsächlich über Waldpfade sowie feuchte, teils schmierige Weidewege. Nach St. Peterzell fordern die ruppigen Pfade mich im Bereich der Mündung des Tüfenbachs in den Necker. Auf Stegen geht es über beide Gewässer und danach wieder steil hinauf und wieder über Weide- und Waldwege. Der Abstieg zur Schwanzbrugg fordert wiederum meine Koordinationsfähigkeit. Von der Schwanzbrugg marschiere ich der Strasse entlang bis zur Bushaltestelle Rütelirank. Es ist heute Töffwetter und das nahe Hemberg eine beliebter Töff-Durchgangsort. Vom Rütelirank  aus will ich aus taktischen Gründen dem stillen Fahrweg entlang bis praktisch unterhalb dem anspruchsvollen finalen Abschnitt zum Ofenloch und zur Schwägalp gelangen. Auf dem Strässchen hoffe ich, so rassig zu gehen, um Zeit für den eher fordernden Bergwegabschnitt einzusparen. Wer MS hat, muss durchdacht vorgehen.

In St. Peterszell besuche ich die Klosterkirche, um zu beten. Das Haus der Stille, das durch Ordensfrauen geführt wird, ist wirklich ein Haus der Stille. Es hat kein Restaurant oder Klosterladen. Eventuell hätte ich an der Pforte läuten müssen, um hineinzugelangen. Ich trinke beim Dorfladen Kaffee und setze mich auf die Bank mit Sicht auf die Kirche. Ich kaufe bei der Käserei einen Appenzeller Käse, den mir die Verkäuferin einschweisst. Danach passiere ich ein Feld, auf dem Stroh zum Abtransport bereit liegt. Bei der Neckerau ist der Hof mit dem vielen Holz vor dem Haus auf den Winter vorbereitet. Der junge Bauer erklärt mir, dass sie mit Holz heizen und mit Strom kochen. So hat der Hof die Energiewende bereits ein Stück weit geschafft. Der Bauer zweifelt nicht daran, dass mit der Zeit auch die Fahrzeuge und Landwirtschaftsmaschinen elektrisch betrieben werden. Die weissen Enten sind Haustiere und „Familienmitglieder“, die bis zu ihrem natürlichen Ableben leben dürfen.

Die heutige Strecke ist in gut drei Stunden zu schaffen.

Links:

http://www.haus-der-stille.ch
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Necker im Ofenloch
24. Oktober 2015: Rütelirank - Ofenloch / Schwägalp-Passstrasse

Bei goldenem Oktober-Wetter marschiere ich vom Rütelirank unterhalb Hemberg in etwa 15 bis 20 Minuten zur Mistelegg und trinke einen Kaffee. Die Entlebucher Hündin Luna schmiegt sich an mich und erhält ihre Streicheleinheiten. Sie gehört der Partnerin des Gastwirts. Diese Frau arbeitet in einem Pflegeheim, wo Luna eine Art Heimhund ist. Ein dementer Bewohner freut sich darauf, einmal pro Woche mit Luna spazieren gehen zu dürfen. Dies erklärt das menschenfreundliche Wesen des Tieres.

Kaum marschiere ich weiter, entsteigen Jäger einem Fahrzeug. Ich fotografiere einen Jäger samt Hund. Der Waidmann stammt aus Bayern. Er steigt danach ins Gehölz Richtung Neckerufer ab. Ich komme noch nicht sehr weit, da knallt des Jägers Büchse dreimal hintereinander. Darauf ertönt ein Jagdhorn.

Das Wanderwegschild zeigt von der Mistelegg nach Schwägalp 4 Stunden 50 Minuten. Ich folge dem teils gekiesten, teils asphaltierten Fahrweg bis zum Ampferenboden. Von dort würde ein Weg teils im Flussbett des Neckers durch den Grand Canyon der Ostschweiz bis zum Ofenloch führen. Das ist nichts für mich und erst recht nicht gegen Ende Oktober. Ich steige den steilen Waldweg bis zum Neuwald West auf 1‘328 m.ü.M. auf. Dieser Pfad hat es trotz gelbem Wanderwegschild in sich. Er ist teils sehr schmal und zwei, drei solche Stellen sind exponiert über abschüssigem Gelände. Ich bin da und dort froh, mich an einem Baum oder einer grossen Wurzel festhalten zu können. Nach langer Zeit überwinde ich die Baumgrenze und komme auf eine sonnige Weide mit direktem Blick zum Säntis. Beim Wanderwegschild Neuwald West raste ich, steige danach zur leicht tiefer gelegenen Alphütte Neuwald ab, von wo der Weg ins Ofenloch führt.

Das Quellwasser des Neckers sammelt sich im Riedgebiet des Chräzerenwald. Es versickert in der Nagelfluh und fällt durch das Ofenloch einige hundert Meter hinab, aus dem es wie ein Wasserfall rauscht. Die Tritte des sehr steilen Abstiegs zum Ofenloch sind gut. Ich muss jedoch anfänglich aufpassen, die weiss-rot-weissen Markierungen zu finden. Unten fliesst der Necker, den ich vorsichtig queren muss. Danach steigt der feuchte Weg steil an. Erst danach kommt das Schild Ofenloch und fällt der Weg wieder steil ab. Ein Necker-Strahl stürzt dort den Fels hinab und der Weg führt eng an den Molasse-Felsen geschmiegt hinter dem Wasserfall durch. Danach steigt der ebenfalls ruppige, sehr steile und an heiklen Stellen rutschige Weg hinauf. Ich bin froh, mich an einer Stelle mittels einer Wurzel hinaufziehen zu können. Es ist so steil und schmierig, dass die Füsse kaum sicheren Halt finden. Irgendwann erblicke ich erleichtert einen Fahrweg über mich. Geschafft!

Heute bin ich um jede geleistete Trainingsstunde und mein Tausend-Treppen-Stufen-Programm dankbar. Gute Fitness und Trittsicherheit sind für das Ofenloch erforderlich.

Erwähnenswert ist folgende akustische Erscheinung. Beim Abstieg in das Ofenloch höre ich Stimmen von unten. Unten ist aber niemand. Dann höre ich Stimmen vom Gegenhang oben und dazu noch Ländlermusik. Ich denke, dass es aus der Richtung kommt, wohin ich muss und ich sehr rasch dort bin. Beim Aufstieg höre ich wieder diese Stimmen und Ländlermusik, aber aus der Richtung, von der ich gekommen bin. Als ich hinübersehe, ist da nichts als Alpweiden und verlassene Alphütten. Das Ofenloch mit seinen Fluh-Wänden muss wie ein gigantischer Trichter und Lautverstärker wirken. Vielleicht kommen die Geräusche von weit her.

Ich laufe rassig entlang dem breiten Weg. Bei der Hornalp sitzen einige Personen vor der Hütte. Ich frage, ob sie Käse verkaufen. Der Besitzer sagt, dass sie nicht Käsen. Es ist offenbar seine Wochenend-Hütte. Ich frage, ob ich absitzen und rasten darf, was sie mir angesichts des Ofenloch-Erlebnisses erlauben. Der Besitzer meint, dass der Weg, den ich gegangen sei, ein „Krüppelweg“ sei. Ich bin heute trotz prächtigem Herbstweg dort alleine unterwegs gewesen. Der strenge Weg wird nicht häufig begangen. Heute seien viele Leute auf den Pfingstboden unterwegs gewesen, eine einfachere, sonnige Route. Danach erzählt der Besitzer, im Winter habe es einmal mitten in der Nacht an seine Hütte geklopft. Er sei erschrocken gewesen. Es habe zwanzig Zentimeter geschneit gehabt. Als er auftat, stand ein Vater mit seinen zwei niedlichen Töchtern vor der Tür. Sie haben sich verlaufen und sind dem Lichtschein aus der Hütte gefolgt. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wären die Fluh hinuntergestürzt. Der Vater ist Polizist. Dies zeigt, dass auch gut trainierte und für schwierige Situationen geschulte Menschen in Bergnot geraten können. Mein heutiges Abenteuer und diese Geschichte motivieren mich für den sonntäglichen Kirchgang. Grund zum Beten und danken!

Ich erfahre von den Leuten, dass ich nach dem Chräzerenpass dem einfachen Fahrweg folgen kann und danach auf der Passstrasse zur Postautohaltestelle hinuntergehen kann. Ich bin froh, mich nur noch treiben lassen zu müssen. Auf einfachen Wegen tragen die Füsse sich von selbst. So geniesse ich den Blick zum spät-nachmittäglich beleuchteten Säntis und steige bei der Postautohaltestelle Schiltmoos ein. Der Weg ist so nicht kürzer als auf die Passhöhe, aber garantiert einfach. Das Postauto führt mich via Schwägalp-Pass nach Urnäsch. Ich bin natürlich einiges länger unterwegs gewesen als die 4 Stunden 50 Minuten ab Mistelegg. Sicher ankommen ist die Hauptsache.  
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